Freitag, 28. März 2014

Tellerränder


Wenn man dem Kompass vor mir trauen konnte, so ist der Süden rechts, der Norden links. Der Westen würde mich verfolgen und der Osten vor meinen Füßen liegen. Ein Schritt zurück, ein zweiter folgt, doch die Nadel schweigt und rührt sich nicht. Das Gesicht zum Horizont gerichtet und der rechte Stiefel setzt nach links über den linken Fuß hinweg, der sogleich, fast hastend, sich daneben stellt. Das Gleiche Schema in die andere Richtung, doch wie auch schon zuvor regt sich bei dem Kompass nichts. Den Blick schweifend kam es dann zur Grenze, die ihn sanft verschwimmen ließ. Der Geist nun folgend, sicher leicht phlegmatisch, nach und nach bewegt sich nun der Koloss doch. Längst eingerostet ändert er die Richtung, quietschend setzt er an zur zweiten Runde. Dreht sich weiter, immer schneller, sieht die Welt aus jeder Richtung. Alles freut sich, selbst die Nadel, die nun schnell rotiert im Kreise.




copyright 2014 by Eric Pallmer

Samstag, 22. März 2014

Die zwei Würfel


Ein Fremder setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht. Er flüsterte „Ihr seid also ein Reisender“. Ich wollte ihm gerade sagen, dass er sich täuschte und mich verwechseln musste, doch er unterbrach mich mit einer kurzen Geste mit der Hand. „Wir sind hier, weil Sie hier sind, denn ich bin ein Teil von Ihnen“, fuhr er mit einer tiefen, aber immer noch gedämpften Stimme fort. Er riet mir ich solle ein paar Runden würfeln und reichte mir zwei Würfel. „Der Einsatz bin ich, die Regeln sind einfach, Sie haben zehn Würfe, danach werden Sie wissen, ob Sie der Sieger sind.“ Ich wunderte mich, doch hatte ich nichts zu verlieren und so begann meine Wandlung. Ich hielt die Würfel in der einen Hand und legte die andere darüber, so dass sich ein Hohlraum bildete, in dem die Würfel frei bewegt werden konnten. Als die Würfel vor mir auf den Tisch fielen, wirbelten sie noch eine Weile herum, gerade so, als müssten sie noch eine Entscheidung treffen. Der erste Würfel blieb liegen und zeigte eine Fünf, kurz danach ruhte auch der zweite Würfel und hatte ebenfalls eine Fünf angenommen. Ein lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, denn wie ich wusste waren es hohe Zahlen und dazu noch zwei Gleiche, bei vielen Spielen wäre es doch ein recht ordentlicher Wurf gewesen. Mein Gegenüber aber schüttelte bedeutend den Kopf und sagte: „Versuchen Sie, ihre Gedanken nicht mit ihrem Verstand zu lenken, sondern vertrauen Sie auf mich.“ Ich nahm die Würfel ein zweites Mal und warf. Die Würfel zeigten eine Vier und eine Fünf. Ich war enttäuscht, doch der Fremde entgegnete, wie ich sehe, lernst du mich langsam kennen, versuche es ein weiteres Mal. Die Würfel flogen wieder durch die Luft und blieben schließlich stehen. Was ich erblickte, verwirrte mich. Eine Neun und eine Fünf lagen reglos auf dem Tisch. Was war geschehen? Ich nahm den Würfel mit der Neun und fragte mich, was dann wohl auf den anderen Seiten zu sehen war, doch genau in dem Moment hatte der Würfel die übliche Beschriftung eines sechsseitigen Würfels angenommen. Ich zweifelte an mir und war mir nicht sicher, ob das eben wirklich passiert war und würfelte erneut. Diesmal war es eine Neun und eine Elf, die meine Glaubwürdigkeit in Frage stellten. Ich gab es auf, darüber zu grübeln, mir fiel nichts Plausibles ein, was es erklären konnte. Die nächsten Paare waren genau so unwahrscheinlich, bestanden aus einer Elf und Zehn, Neun und Null (als ob es nicht schon undurchsichtig genug gewesen wäre), Acht und Zwölf, Sieben und Zwei, schließlich noch eine Kombination aus Acht und Sieben. Plötzlich überkam mich ein starkes Gefühl und ich ahnte, doch ich wusste nicht warum, was die Würfel als nächstes zeigen würden, doch ich hatte es bereits gewürfelt und ich sollte recht behalten. Die Würfel überschlugen sich ein letztes Mal, trudelten hin und her, drehten sich und blieben reglos liegen.
Ich erwachte im Dunkeln, das Licht blieb aus und die Uhrzeit konnte durch meine visuelle Wahrnehmung nicht erkannt werden. So erkannte ich, dass sich präluzide und luzide Phasen ablösen können.


copyright 2014 by Eric Pallmer